La chinoise

Jean-Luc Godard (Frankreich 1967)

JLG 90 neuf zéro
Filmkritiker, Filmemacher und Filmforscher; Bild-, Wort- und Multimediakünstler; Monteur, Tüftler und Handwerker; Stratege, Manipulator und Trickster: Jean-Luc Godard, das neugierige, nimmermüde, unberechenbare Enfant terrible des Kinos feiert am 3. Dezember seinen 90. Geburtstag.

«In Godards geistreicher dialektischer Farce, die so tief beunruhigend ist wie schrill-lustig, diskutieren fünf Studenten – alle Mitglieder einer maoistischen Zelle – die Bedeutung der chinesischen Kulturrevolution und die Möglichkeiten, mit Terrorismus im Westen einen ähnlichen Umbruch zu bewirken. Verwirrend schön gemacht ist das, als Collage von Slogans und Plakatbildern – doch der Film wurde seinerzeit wegen seines spielerischen Umgangs mit der Politik weitherum angegriffen. Godard indes war sich sehr wohl bewusst, was er tat, als er diese ‹Robinson Crusoes mit dem Marxismus als ihrem Freitag› erschuf. Sein Film erwies sich als prophetische und bemerkenswert scharfsinnige Analyse der Triebkräfte hinter den Ereignissen vom Mai 1968 in ihrer verzweifelten Aufrichtigkeit und unmöglichen Naivität.» (Tom Milne, Time Out Film Guide)
«Il faut confronter les idées vagues avec des images claires.»

«La Chinoise, vor Week End entstanden, schildert Leben und Reden in einer Kommune französischer Jung-Maoisten. Als Anfang 1967 die Gedanken des Vorsitzenden Mao zum Studenten-Bestseller wurden (...), hatte Godard das Szenario entworfen (...).
‹La Chinoise› heisst die Hauptfigur einer Fünfer-Kommune, die es von der Mao-Meditation zur revolutionären Aktivität treibt. Mit dem Mord an einem sowjetischen Kulturfunktionär namens Scholochow, der zur Verbrüderung in Paris weilt, soll dem Revisionismus ein erster Schlag versetzt werden. Das Los zur Terror-Tat fällt auf die ‹Chinesin›, Tochter eines Bankiers aus der französischen Provinz. Weil sie die Zimmernummer des Opfers aus dem verkehrt liegenden Hotelbuch falsch abgelesen hat, erschiesst sie zunächst einen andern; gleichmütig wendet sie sich sodann dem Richtigen zu.
Nach der Tat verlassen die Cine-Maos die pop-bunte Wohnung in Paris und gehen zurück in die Provinz – resigniert. ‹Ich glaubte einen grossen Sprung vorwärts getan zu haben›, sagt die Attentäterin, ‹aber es war nur der Beginn eines langen Marsches.›
Godard arbeitet, wie zumeist, mit Reportage-Technik, montiert Fakten und Fiktion, Hack-Schnitte erwecken den Eindruck eines Kino interruptum, und Godards treuer Kamera-Kamerad Raoul Coutard baut seine modische Farbästhetik auf das Rot der stets griffbereiten Mao-Bibel.
Reden und Rauchen sind die Haupttätigkeiten der Kommunarden, sie teilen sich mit über Kapitalismus, Revisionismus, Brecht und Vietnam, und Godard legt das Protokoll unreflektiert vor. La Chinoise, zugleich naiv und künstlich, bietet keine Analyse, sondern bestenfalls Material dafür – Bruchstücke einer grossen Konfusion.» (Der Spiegel, 5.2.1968)

«La Chinoise ist kein orthodox marxistisch-leninistischer Film. Sein erzählerischer Schwerpunkt liegt auf Gewalt und einem Versuch, den sowjetischen Kulturminister zu ermorden, während er für einen offiziellen Besuch in Frankreich weilt. (...) Terrorismus ist in der Tat Teil des leninistischen Erbes; sein Einsatz zu einem bestimmten Zeitpunkt wird von taktischen, nicht von moralischen Überlegungen bestimmt. Tatsächlich scheint Godards Betonung auf die Verbindung zwischen studentischen Revolutionären und Gewalt in langfristiger Hinsicht ein wesentlicher Bestandteil der merkwürdigen Vorahnung von La Chinoise zu sein. Die Weathermen in den USA, die Angry Brigade in Grossbritannien, die Baader-Meinhof-Gruppe in der Bundesrepublik Deutschland und die Brigate Rosse in Italien, sie alle verweisen auf das Potenzial für Terrorismus innerhalb der Studentenbewegung. In Frankreich hingegen entwickelten sich keine bedeutenden terroristischen Gruppierungen, und Godards Schwerpunkt auf der Gewalt erscheint der persönlichste Aspekt des Films zu sein.» (Colin MacCabe, Godard, a Portrait of the Artist at 70)

99 Min. / Farbe / DCP / F/d*

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Künstler:innen / Personen

Regie: Jean-Luc Godard
Drehbuch: Jean-Luc Godard
Kamera: Raoul Coutard
Musik: Karlheinz Stockhausen
Schnitt: Delphine Desfons, Agnès Guillemot
Besetzung: Anne Wiazemsky (Véronique), Jean-Pierre Léaud (Guillaume), Michel Séméniako (Henri), Lex De Bruijn (Kirilov), Juliet Berto (Yvonne), Omar Diop (Genosse X), Blandine Jeanson (Blandine)

Veranstalter:in

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