Missionen der Schönheit

Judit ist das alttestamentarische Symbol der schönen und reinen jungen Frau, die im Kontext einer männlich geprägten Geschichtsschreibung als Witwe jeglicher Zukunftsperspektive und Status entbehrt und ihr von Belagerung und Barbarei bedrohtes Volk zu erlösen versucht, indem sie sich ins Lager des gefürchteten Feldherrn Holofernes einschleicht, ihn verführt und im volltrunkenen Schlaf enthauptet. Triumphierend kehrt sie mit seinem Kopf als Trophäe heim und wird fortan von ihrem Volk als Erlöserin und Heilige gefeiert. Judit in Sibylle Bergs „Missionen der Schönheit“ ist 12 und lebt in Brüssel, sie ist 18 und lebt in Berlin, 23 in Kinshasa, 30 in Kiew, 38 in São Paulo, 40 in Neapel, 54 in Johannesburg und 75 in Betulia.

All diese Frauenfiguren, die auf den ersten Blick in keiner Beziehung zueinander stehen, arbeiten sich ab an den Rollenzuschreibungen unserer Gesellschaft, die Mädchen und Frauen bis heute allzu tief eingeprägt sind. In der Geschichte haben Männer die Macht und Frauen die Schönheit inne. Wie gehen wir damit um? Was geschieht, wenn Schönheit als Machtmittel eingesetzt wird, wenn sich das Wissen um den eigenen Körper als Projektionsfläche, das sich einer äußeren, männlichen Beurteilungsmatrix bewusste Zur-Verfügung-Stellen, sowie das Bedienen eines Voyeurismus verselbstständigen?

Wir begegnen Frauenfiguren, die sich auszeichnen durch ihre Kraft und Stärke, ihren Humor und die Fähigkeit zur bedingungslosen Liebe. Die gleichzeitig aber auch tief verunsichert sind durch ein vermeintlich mangelhaftes Äußeres, unfähig den Selbstwert von optischen Makeln oder alternder Schönheit abzukoppeln. Frauen, die auf der fortwährenden Suche nach Selbstoptimierung sind, bereit zur physischen wie psychischen Selbstzerstörung. Der religiöse Fanatismus, der die Protagonistin in der Bibel antreibt und unweigerlich Assoziationen zu terroristischen AkteurInnen der Gegenwart aufdrängt, äussert sich bei Bergs Figuren als Fanatismus im Kampf gegen das eigene Selbst, als Sehnsucht sich vom eigenen Ich abzulösen. Dieses Selbst zerbricht zwischen den Bedürfnissen, einerseits gesellschaftliche Erwartungen an ein von außen eingefordertes Frauenbild zu erfüllen und andererseits für sich selbst einzustehen, der Angst vor der eigenen Kraft und dem Wunsch, sich von alledem endlich freimachen zu können.

Die Choreografin Salome Schneebeli, die Videokünstlerin Heta Multanen und die Schauspielerin Lisa-Katrina Mayer näheren sich diesem feministischen Text in einem interdisziplinären Arbeitsprozess, der zeitgenössischen Tanz, Video, Livemusik und Schauspiel umfasst. Inspiriert von der Auseinandersetzung mit der Ikone Judit in der Musik- und Kunstgeschichte, erkunden die drei Künstlerinnen ausgehend von Körper- und Textarbeit die acht Protagonistinnen und schlagen gleichzeitig eine Brücke zur Lebens- und Arbeitsrealität der Performerin selbst. Diese ist immer zuallererst Projektionsfläche und kann sich überhaupt erst durch den Blick eines Publikums als Figur definieren. Sie generiert den kreativen Antrieb stets aus sich selbst und auch, wenn sie sich ganz und gar einem Text, einer Figur und Geschichte zur Verfügung stellt, wenn sie Wege sucht, die Performerin von der Bühnenfigur abzukoppeln – wird sie dennoch immer sie selbst bleiben. Der Körper, den wir sehen, bleibt immer der Körper, den wir sehen – und trotzdem vermag er sich doch fortwährend zu verwandeln.

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Schauspielhaus Zürich

Das Schauspielhaus Zürich ist das grösste Sprechtheater der Schweiz und eines der renommiertesten Theater im deutschsprachigen Raum. Sieben internationale Hausregisseur*innen gestalten mit einem Ensemble aus Schauspieler*innen, Performer*innen und ...

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Judit ist das alttestamentarische Symbol der schönen und reinen jungen Frau, die im Kontext einer männlich geprägten Geschichtsschreibung als Witwe jeglicher Zukunftsperspektive und Status entbehrt und ihr von Belagerung und Barbarei bedrohtes Volk zu erlösen versucht, indem sie sich ins Lager des gefürchteten Feldherrn Holofernes einschleicht, ihn verführt und im volltrunkenen Schlaf enthauptet. Triumphierend kehrt sie mit seinem Kopf als Trophäe heim und wird fortan von ihrem Volk als Erlöserin und Heilige gefeiert. Judit in Sibylle Bergs „Missionen der Schönheit“ ist 12 und lebt in Brüssel, sie ist 18 und lebt in Berlin, 23 in Kinshasa, 30 in Kiew, 38 in São Paulo, 40 in Neapel, 54 in Johannesburg und 75 in Betulia.

All diese Frauenfiguren, die auf den ersten Blick in keiner Beziehung zueinander stehen, arbeiten sich ab an den Rollenzuschreibungen unserer Gesellschaft, die Mädchen und Frauen bis heute allzu tief eingeprägt sind. In der Geschichte haben Männer die Macht und Frauen die Schönheit inne. Wie gehen wir damit um? Was geschieht, wenn Schönheit als Machtmittel eingesetzt wird, wenn sich das Wissen um den eigenen Körper als Projektionsfläche, das sich einer äußeren, männlichen Beurteilungsmatrix bewusste Zur-Verfügung-Stellen, sowie das Bedienen eines Voyeurismus verselbstständigen?

Wir begegnen Frauenfiguren, die sich auszeichnen durch ihre Kraft und Stärke, ihren Humor und die Fähigkeit zur bedingungslosen Liebe. Die gleichzeitig aber auch tief verunsichert sind durch ein vermeintlich mangelhaftes Äußeres, unfähig den Selbstwert von optischen Makeln oder alternder Schönheit abzukoppeln. Frauen, die auf der fortwährenden Suche nach Selbstoptimierung sind, bereit zur physischen wie psychischen Selbstzerstörung. Der religiöse Fanatismus, der die Protagonistin in der Bibel antreibt und unweigerlich Assoziationen zu terroristischen AkteurInnen der Gegenwart aufdrängt, äussert sich bei Bergs Figuren als Fanatismus im Kampf gegen das eigene Selbst, als Sehnsucht sich vom eigenen Ich abzulösen. Dieses Selbst zerbricht zwischen den Bedürfnissen, einerseits gesellschaftliche Erwartungen an ein von außen eingefordertes Frauenbild zu erfüllen und andererseits für sich selbst einzustehen, der Angst vor der eigenen Kraft und dem Wunsch, sich von alledem endlich freimachen zu können.

Die Choreografin Salome Schneebeli, die Videokünstlerin Heta Multanen und die Schauspielerin Lisa-Katrina Mayer näheren sich diesem feministischen Text in einem interdisziplinären Arbeitsprozess, der zeitgenössischen Tanz, Video, Livemusik und Schauspiel umfasst. Inspiriert von der Auseinandersetzung mit der Ikone Judit in der Musik- und Kunstgeschichte, erkunden die drei Künstlerinnen ausgehend von Körper- und Textarbeit die acht Protagonistinnen und schlagen gleichzeitig eine Brücke zur Lebens- und Arbeitsrealität der Performerin selbst. Diese ist immer zuallererst Projektionsfläche und kann sich überhaupt erst durch den Blick eines Publikums als Figur definieren. Sie generiert den kreativen Antrieb stets aus sich selbst und auch, wenn sie sich ganz und gar einem Text, einer Figur und Geschichte zur Verfügung stellt, wenn sie Wege sucht, die Performerin von der Bühnenfigur abzukoppeln – wird sie dennoch immer sie selbst bleiben. Der Körper, den wir sehen, bleibt immer der Körper, den wir sehen – und trotzdem vermag er sich doch fortwährend zu verwandeln.
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