Open-Air-Kino Xenix 2020 – TANGERINE von Sean Baker

Das mit einfachsten Mitteln und maximaler Wirkung realisierte Porträt der Transgender-Subkultur entlang des Santa Monica Boulevard gilt als erster vollständig mit dem iPhone gefilmter US-Indie-Streifen. Ein Feuerwerk in durchgeknallten Orangetönen.

Heiligabend auf dem Strassenstrich von Los Angeles, das sich anfühlt wie Zürich im Hochsommer: Die Transsexuelle Sin-Dee Rella kommt gerade aus dem Knast, wo sie eine 28-tägige Haftstrafe für ihren Zuhälter und Geliebten Chester abgesessen hat – doch der hat sich nicht mal bei ihrer Entlassung blicken lassen. Bei einem Donut mit ihrer besten Transen-Freundin Alexandra erfährt sie den Grund. Chester soll sie während ihrer Abwesenheit mit einer «echten» Frau, und zwar einer «weissen Möse», betrogen haben. Da rastet die ebenso stolze wie impulsive Sin-Dee aus und macht sich in Hot Pants und knappem Top unverzüglich auf die Suche nach ihrem Lover sowie dem weissen Miststück – einer Desiree, Daphne, Delilah, Dana oder so ähnlich – um die beiden zur Rede zu stellen. Begleitet wird sie von Alexandra, die ihr das Versprechen abnimmt, kein grosses Theater zu veranstalten. Doch dank Sin-Dees beträchtlichem Talent zur Drama-Queen wird aus der Odyssee ein schräger Amoklauf der unfreiwillig komischen Art, der in einem chaotischen Showdown im «Donut Time» gipfelt.

In TANGERINE brennt nicht nur der Himmel, sondern vor allem Kitana Kiki Rodriguez. Die Protagonistin und ihre Filmfreundin Mya Taylor liefern eine hinreissende Performance als «crazy bitches». Umwerfend auch Karren Karagulian als armenischer Taxifahrer mit einem Fetisch für die «chicks with dicks». Sean Baker gelingt in seinem fünften Spielfilm der Spagat zwischen zärtlich-intimen und grotesken Szenen nicht zuletzt dank dem abgefahrenen Soundtrack zwischen Dub, Electropop und Klassik. Eine furios erzählte, brutal ehrliche Screwball-Komödie mit Herz und einem genauen Blick für soziale Milieus, die nur so strotzt vor Energie, Stilwillen und subversivem Witz.