Heilsames Trauerspiel

Das einstündige Tanzstück von Trajal Harrell findet in einem speziellen Setting auf der Pfauenbühne statt. Ein Erlebnis, das aufrüttelt und berührt.

Das Setting von Trajal Harralls neustem Stück «Das Haus von Bernarda Alba» entführt Zuschauer*innen mitten in einen Modesalon der 1940er-Jahre. In einer eigens für diese Produktion erbauten Bühnenbox nimmt das Publikum in den wenigen Reihen des plüschigen Interieurs Platz. Doch auf der mittleren Fläche erfolgt keine Präsentation von erlesenen Roben aus dem Modehaus Dior. Und auch keine Aufführung des gleichnamigen Stücks von Federico García Lorca, das die tragische Geschichte einer verwitweten Mutter und ihrer fünf Töchter erzählt. Auf dieser Bühne werden ganz andere, unerwartete Dinge passieren – die für Harrells Arbeit allerdings typisch sind.

Der Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich ist ein Meister im Kombinieren von disparaten Elementen. Das beginnt schon beim Tanzstil, den er geprägt hat, einer Mischung aus Modern Dance, Voguing und Butoh. Das Voguing entwickelte sich in der New Yorker Ballroomszene der afro- und lateinamerikanischen Schwulen- und Transgemeinschaften und nahm Posen des Catwalkings auf. Der japanische Ausdruckstanz Butoh hingegen entstand nach dem zweiten Weltkrieg in Japan. Er wurde auch Tanz der Finsternis genannt. Die beiden Körpersprachen unterscheiden sich zwar visuell, doch beide sind eine Ausdrucksform von marginalisierten Menschen. Tanz als Geste des Widerstands, als Sichtbarmachung von Unterdrücktem: Das ist auch Trajal Harrells Anliegen. Er zeigt, wie im (Mit)teilen von Schmerz und Trauer Gemeinschaft entstehen kann.

Der Abend beginnt zuerst harmlos mit einem Verweis auf die «kleinen Hände», die unsichtbaren Macher:innen der Haute Couture; in weisse Kittel gekleidet künden die Tänzer:innen den Beginn des eigentlichen Stücks an. Dann geraten sie mit der Musik ins Taumeln und zusehends verzerren sich ihre Gesichter, verrenken sich ihre Glieder. Harrell mutet seinem Publikum einiges zu. Während es modisch zunächst eher sportlich zu und her geht, werden die Kostüme immer schriller und interessanter. Die schrägen Looks stehen für die Diversität der Kulturen, Geschlechter und Klassen. Tanz verbindet.

Von Susanna Koeberle am 29. September 2022 veröffentlicht.

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