(c) zvg - Performance am Bellevue Zürich mit Andrea Grieder ChristmasMom

Telefonkabinenkunst

Redaktion Gretta Bott
Redaktion Gretta Bott

Wenn die Telefonkabine zum Kunstraum wird. Ein Performance-Zyklus bespielt die letzten noch verbliebenen Telefonkabinen in der Stadt Zürich.

Zeitreise

Wann stand ich das letzte Mal in einer Telefonkabine? Vor 15 Jahren, vielleicht eher 20? Und überhaupt: Gibt es sie noch, diese Telefonkabinen, heutzutage, wo doch alle ein Mobiltelefon besitzen?

Ja, es gibt sie noch, zeigt eine kurze Recherche. Schweizweit ungefähr noch 100 solcher «Telecabs», 60 davon in Zürich. Sie werden allerdings in den nächsten Jahren verschwinden. Mit Ansage. Wenn sie bleiben dürfen, dann meist als Umnutzung: Bücherschränke, klitzekleine Café-Bars, Snackautomaten oder Defibrillatorstandorte sind nur einige der kreativen Recycling-Ideen. 

Kunst in der Telefonkabine

Eine weitere Nutzung ist diejenige als Kunstraum. Künstlerin und Kuratorin Marianne Mettler (Window of Fame) wohnt gegenüber einer trostlosen, verlassenen Telefonzelle und fragte sich eines Tages: «Warum funktioniere ich die Telefonkabine nicht zum Kunstraum um?». Gedacht, getan. Nach rund einem Jahr Planung und Bewilligungsgesuche-einreichen, ist ein liebevoll kuratierter Performance-Zyklus entstanden, der die letzten Telefondinosaurier der Stadt Zürich noch ein Mal ins Rampenlicht rückt.

Ich durfte letzten Samstag an der partizipativen Performance «Take Care» von Martina Morger teilnehmen. Zunächst hatte ich dazu allerdings nicht viel Lust: Es regnete, war bitterkalt und am Bellvue herrschte das pure Chaos aus «Wienachtsdorf», Märli- und Fonduetram, Gästen aus Nah und Fern, Samstagsabendverkehr. Für misanthropisch veranlagte Menschen wie mich also eigentlich die Hölle. 

Dann betrat ich die Telefonkabine und war sofort in einer anderen Welt. Durch die Verglasung konnte ich den Stress draussen zwar beobachten, aber bei mir drinnen herrschte Ruhe. Ich wählte die von der Künstlerin angegebene Telefonnummer und kam mit einer freundlichen Stimme ins Gespräch. Wir plauderten über unsere aktuelle Gefühlslage, den Weihnachtsstress, zu wenig Schlaf und darüber, wie es sich anfühlt, wieder einmal in einer Telefonkabine zu stehen. Fast wie eine Therapie-Session, dachte ich bei mir. Und tatsächlich war ich danach entspannter, eher im Frieden mit mir und der hektischen Bellvue-Glitzer-Weihnachts-Welt.

2025 geht's weiter!

Wie mir die verantwortliche Marianne Mettler danach erklärte, ist die Telefonkabine ein immanenter Ort des Austauschs und der Kommunikation, obschon die Menschen sich in der Regel alleine darin befinden. Durch das Telefon wird der soziale Kontakt zu jemanden aufgebaut, eine Geschichte zwischen zwei Menschen entsteht und die Welt ringsherum lässt sich ausschliessen. Natürlich ist ein Gespräch am «Handy» ähnlich, allerdings ohne diesen Schutz und die Geborgenheit, dass nicht alle das Telefonat belauschen, wie es in einer Tram der Fall wäre. 

Ein kleines Hoch also auf die Telefonkabine. Wusstest du übrigens, dass das Telefonieren darin kostenlos ist? Wie wärs: wider einmal auf ein Telefonat in eine öffentliche Kabine? Es macht Spass, versprochen! 

2025 geht dieser spannende Zyklus weiter. Unterschiedliche Kabinen in der Stadt werden von jeweils anderen Künstler:innen bespielt. 

Mehr Infos


Anmerkung: Das Titelbild stammt von der partizipativen Performance «Christmas Mom» mit Andrea Grieder, die am 17. Dezember stattgefunden hat.

Von Gretta Bott am 19. Dezember 2024 veröffentlicht.

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