Mein erstes Mal … in der Tonhalle

Von Regenhosen, Plastikkerzen und der Frage nach dem richtigen Outfit.

Erste Male sind häufig ja regelrecht vollbepackt mit Erwartungen und Wunschvorstellungen – und einem Dutzend Fettnäpfchen, die nur darauf zu warten scheinen, dass der Debütant in sie tritt und die Sauce unter den Augen der Anwesenden in alle Richtungen spritzt. Deswegen: Vorbereitung is key!

Meinen Laptop interessiert es herzlich wenig, ob ich ihm beim Serienmarathon auf dem Sofa in Jogginghose oder Jupe gegenübersitze. Aber gediegene Kenner:innen klassischer Musik? – vor denen möchte ich mir lieber nicht die Blösse geben. Zumindest im Kopf hatte ich mir das Outfit für meine Tonhallenpremiere schon zurechtgelegt: ein schwarzes Samtkleid sollte es sein, Dr. Martens dazu (wir wollen es mit der Eleganz mal nicht übertreiben), goldene Creolen, Pferdeschwanz. Vielleicht wäre der Plan aufgegangen, wenn ich am Nachmittag nicht zum Sport gegangen wäre, das Tram keine Verspätung gehabt und es nicht wie aus Kübeln gegossen hätte. Hätte, hätte, Fahrradkette …

Am Ende fahre ich mit dem Velo vor der Tonhalle vor – ungeschminkt, in Leggings, Regenhose und einer Frisur, die den Namen wirklich nicht verdient.

Da stehe ich also im Wandertagsoutfit zwischen Menschen in schicken Anzügen und schillernden Paillettenkleidern, streife mir vor der Garderobe die Regenhose ab – und stelle fest: keinen interessiert’s.

Mit ihrer Altehrwürdigkeit, dem goldverzierten Stuck an den Decken und den schweren Lüstern, die wie Damoklesschwerter über den Stuhlreihen baumeln, können Orte wie die Tonhalle tatsächlich ein wenig einschüchternd wirken. Gehöre ich hier wirklich hin? Sieht man es mir nicht an der Nasenspitze an, dass ich keine Ahnung von klassischer Musik habe? Ich will nicht wissen, wie häufig Fragen wie diese in den Köpfen der Besuchenden umherschwirren. Vielleicht ist es ja auch für den älteren Herrn im Sakko das erste klassische Konzert. Und wer weiss, ob die junge Frau im Abendkleid nicht eigentlich lieber bauchfrei trägt und sich nachts zuvor in einem Club in Ekstase getanzt hat?

Ja, so ein Tonhallenbesuch lohnt sich in der Tat allein schon, um Fragen nach der Selbst- und Fremdwahrnehmung auf den Grund zu gehen, den gewohnten Kreis-Dreivierfünf-Abendaktivitäten einen Kontrapunkt entgegenzusetzen – und natürlich für die Musik. Spätestens nach dem Ertönen des Einlassgongs sind die Augen aller ohnehin nur noch in eine Richtung gerichtet: nach vorne, zur Bühne, wo sich an diesem Abend die Filarmónica Joven de Colombia platziert hat. Den Auftakt macht ein Stück von Wolfgang Ordoñez, ebenfalls Kolumbianer und wohl allein schon von Namens wegen dazu bestimmt, die Komponistenkarriere einzuschlagen. Um das Stück im Fachjargon zu beschreiben, müsste ich Passagen aus dem Programmtext klauen; also bleibe ich bei meinen eigenen Worten: Wäre Kevin McCallister nicht in New York gelandet, sondern in der Karibik gestrandet – Ordoñez’ Werk hätte sich perfekt für den Soundtrack geeignet. Danach betritt Geigerin Hilary Hahn die Bühne – und spielt so gut, dass das Publikum aus dem Klatschen gar nicht mehr rauskommt. Meine Handflächen vibrieren, als Hahn die Bühne nach der dritten Zugabe endgültig verlässt. Zuletzt zieht das Orchester nochmals alle Register und wagt es, Schostakowitschs Fünfte nicht einfach nur akkurat vom Blatt zu spielen, sondern gleich noch eine halbe Performance dazu abzuliefern: Mal spielen die Musiker:innen mit verbundenen Augen, mal drehen sie sich mitten im Spiel dramatisch um oder recken ihre Streichbögen – Harry Potter lässt grüssen – wie Zauberstäbe in die Höhe, während das Publikum grell leuchtende elektrische Plastikkerzen durch die Luft schwenkt.

Ich muss gestehen: Meine Tonhallenpremiere hat sich zeitweise wie eine Mischung aus Rumba-getränktem Weihnachtsfilm und Bon Jovi-Konzert angefühlt. Feierlich, ein wenig cringy, aber alles in allem sehr schön.

Ob das Samtkleid da wirklich passend gewesen wäre?

 

Sandra besuchte das Konzert von der Filarmónica Joven de Colombia mit der Violinistin Hilary Hahn von Migros-Kulturprozent-Classics in der Tonhalle Zürich. 

Foto: Christian Doppler

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Von Sandra Smolcic am 16. November 2023 veröffentlicht.

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